Die deutsche Kohlekommission, beauftragt mit der Prüfung der Realisierbarkeit des Kohleausstiegs in Deutschland, veröffentlichte Ende Januar ihren Bericht, mit dem das Land auf Kurs gebracht wird, bis 2038 kohlefrei zu sein. Der progressiven Kohleausstieg, den der Plan vorsieht, ermöglicht Deutschland, seine Emissionsziele in der Energiebranche bis 2030 zu erfüllen, nachdem offiziell bestätigt wurde, dass das Land die Ziele für 2020 nicht erreichen wird.
Im Laufe der nächsten vier Jahre sollten ungefähr 12,5 GW Kapazität (fast 30% der gesamten kohleverstromten Kapazität) vom Netz genommen werden (fast die Hälfte davon ist bereits als Reservekapazität geplant, z.B. für Ausnahmegebrauch). Weitere 13 GW Kapazität würden dann bis 2030 und der Rest bis 2038 vom Netz genommen. Mit diesem Plan werden bis zu 1,8 GtCO2e der deutschen Emissionen im Vergleich zu einem Szenario mit unveränderten Maßnahmen vermieden, was aber das Land nicht auf den Treibhausemissionspfad unter 2C bringt. Ungeachtet dessen ist es ein wichtiger Schritt für eines der kohle-hungrigsten EU-Länder, welches im Jahr 2018 35% seines Stroms aus Kohle gewann.
Schritt halten
Dieser neue Schritt zur Einführung einer klaren Zeitplanung für den Ausstieg wirft Fragen zur Effektivität der bestehenden Strategien auf, und ob sie ein vergleichbares Ergebnis liefern könnten. Die deutsche Energiebranche unterliegt dem europäischen Emissionshandelssystem (EU-EHS), welches über die Versteigerung von Emissionsrechten an Kraftwerke quasi ein Preisetikett auf Kohlenstoff klebt. Nach einer weiteren Preissteigerung liegen die Emissionsrechte in der EU derzeit bei leicht über 20 € pro Tonne CO2e. Höhere CO2-Preise würden bedeuten, dass die Erzeugung von Elektrizität aus Kohle weniger interessant wird. Im Jahr 2018 fiel die Rentabilität des Betriebs von Kohle- und Gaskraftwerken regelmäßig ins Minus, was diese entweder unrentabel oder abhängig von Subventionen macht.
Obwohl er Kohlekraftwerke unrentabel macht, ist der Abwärtsdruck auf den Kohlestrom eventuell von kurzer Dauer, da er von (unbeständigen) Energiemarktparametern abhängt und eventuell ganz nachlässt, wenn die EU-EHS Kohlepreise erneut sinken. Das zeigt, dass keine Politikmaßnahme allein ausreichend ist. Das EU-EHS ist kein hinreichend starkes Instrument, um den Ausstieg aus der Kohlegewinnung direkt zu bewirken, aber es spielt trotzdem eine wichtige Rolle. Die Verteuerung umweltverschmutzender Tätigkeiten muss für Deutschland und Europa als Einheit Priorität bleiben, was bedeutet, dass der Plan für den Kohleausstieg das EU-EHS nicht negativ beeinflussen sollte. Aus diesem Grund umfassen die Empfehlungen der Kohlekommission den wichtigen Rat an die deutsche Regierung, EHS-Genehmigungen in Abstimmung mit der Schließung von Kohlekraftwerken zu annullieren.
Wasser vom Wasserbett ablassen
Während Kohlekraftwerke schließen, werden Genehmigungen aus dem EU-EHS für andere Werke – möglicherweise in anderen Ländern – zur Verwendung frei. Dies wird oft der “Wasserbetteffekt” genannt. Stellen Sie sich vor: Sie üben auf einer Seite eines Wasserbetts Druck aus. Das Wasser verringert sich nicht, sondern wird auf die andere Seite gedrückt. Um dies zu vermeiden, müssen Sie Wasser aus dem Bett ablassen, sodass das Gesamtvolumen abnimmt. Dasselbe gilt für das EU-EHS, wo einige Emissionslizenzen entsprechend der Verunreinigungsmenge (dem Umfang der Treibhausgas-Emissionen), vom Markt genommen werden sollten, um sicherzustellen, dass sie nicht für andere Länder oder Werke verfügbar sind. Das wäre ein erster Schritt hin zum „Durchstechen der Kohleblase“.
Selbstverständlich muss der Kohleausstieg sozial fair erfolgen, da Klima- und Sozialpolitik immer Hand in Hand gehen sollten. Darum sollten kohleabhängige Kommunen finanziell unterstützt und Arbeiter nach Bedarf umgeschult werden. Der Bericht der Kohlekommission enthält solche Mechanismen für die Finanzierung eines „gerechten Wandels“, und es wird gemunkelt, dass die deutsche Regierung in den nächsten 20 Jahren 40 Milliarden € bereitstellt, um dies zu erreichen. Allerdings wird in dem Bericht empfohlen, dass dieses Geld eher von den Steuerzahlern kommen als über einer Preiserhöhung für Strom generiert werden sollte, geschweige denn, dass einige der größten Verschmutzer einen Teil der Rechnung mittragen müssen.
RWE, das größte deutsche Versorgungsunternehmen, das Kohle nutzt, kritisierte wenig überraschend das Enddatum 2038 als “zu früh”, während die Anteile des Unternehmens nach Veröffentlichung des Berichts um 5% und vor wenigen Wochen um 10% stiegen, was kaum einen Mangel an Vertrauen der Aktionäre in die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens andeutet. Darüber hinaus forderten die RWE-Aktionäre das Unternehmen sogar auf, bei der Verhandlung der Entschädigungen für den Kohleausstiegs eine deutliche Position einzunehmen.
Darum sollte deutlich unterschieden werden zwischen der Unterstützung von Kommunen zur Gewährleistung eines „gerechten Wandels“ sowie zur Vermeidung negativer finanzieller Auswirkungen auf öffentliche Einrichtungen wie Städte und Gemeinden, die Aktionäre von größeren Versorgungsunternehmen sind, einerseits und der Entschädigung großer Investoren, die bewusst auf die Zukunft der Kohle gesetzt haben, andererseits. Öffentliche Mittel sollen verwendet werden, um Menschen zu entschädigen und umzuschulen, aber nicht für private Aktionäre, die in ihrem finanziellen Spiel verloren haben.
Ein höherer Kohlepreis in der Energiebranche aufgrund eines starken EU-EHS sollte in der Tat Kohle für zukünftige Investitionen weniger interessant machen. Die Stärkung des EU-EHS durch die Beendigung von Praktiken wie die der freien Vergabe von Emissionslizenzen dürfte auch erheblich mehr öffentliche Einnahmen generieren, die zur Finanzierung weiterer Klimamaßnahmen, einschließlich der Unterstützung des „gerechten Wandels“ der betroffenen Kommunen, verwendet werden können.
1. Laut der Analyse im CarbonBrief. Unter „business as usual“ (BAU) werden die Kohlekraftwerke bei einer durchschnittlichen Altersgrenze der bereits geschlossenen deutschen Kohlekraftwerke geschlossen. Der Pfad “unter 2C” folgt der prozentualen Senkung der kohlebasierten Erzeugung in der gesamten EU entsprechend dem Szenario “unter 2C” der Internationalen Energieagenturen.
2. Siehe hier (Slide 9) die Clean Dark Spread- und Clean Spark Spread-Maßnahmen, die die Entwicklung der Rentabilität der Betreibung von Kohle- und Gaskraftwerken verfolgen, d.h. den Unterschied zwischen Elektrizitätspreisen und den Kosten für die Erzeugung dieses Stroms, einschließlich der Kohlekosten.
3. Laut Sandbag ist es nicht allein ausreichend, wenn die Marktstabilitätsreserve eingeführt wird und der Entwurf nun verstärkt wurde, um den Markt ausreichend gegen Überangebot an Emissionsrechten zu wappnen.
4. Wie ausdrücklich in Art. 12.4 der überarbeiteten EU-EHS Richtlinie angegeben.